Das Problem:
Nach gefestigter Rechtsprechung ist es dem Versicherer erlaubt, im Rahmen der Prüfungen zur Feststellung des Versicherungsfalls auch die Voraussetzungen einer möglichen Obliegenheitsverletzung zu prüfen.
In der Praxis der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung begegnet uns diese Rechtsfrage regelmäßig in folgender Konstellation:
- Man schließt – in der Regel bei Eintritt in das Berufsleben – einen Vertrag über eine private Berufsunfähigkeitsversicherung und glaubt sich entsprechend abgesichert.
- Nachdem man jahre-, oft auch jahrzehntelang pünktlich seine Beiträge gezahlt hat, kommt es zu einer krankheitsbedingten und voraussichtlich dauerhaften Beeinträchtigung der eigenen Erwerbsfähigkeit.
- Wenn man dann einen Antrag auf Leistung stellt, erhält man nach einigen Wochen die Antwort, nach umfassender Prüfung habe sich herausgestellt, dass die Gesundheitsfragen bei Vertragsabschluss absichtlich falsch beantwortet wurden. Man müsse daher den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten und trete im übrigen von diesem zurück (und mangels bestehender Vertragsgrundlage könne man natürlich auch keine Leistungen aufgrund von bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit erbringen).
Da der Vertragsschluss zu diesem Zeitpunkt regelmäßig einige Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegt, ist guter Rat teuer:
- Ohne vertiefte Kenntnisse dieser Spezialmaterie ist es schlicht unmöglich, zu beurteilen, ob die angebliche Anzeigepflichtverletzung tatsächlich zum Rücktritt oder gar zur Anfechtung des Vertrages berechtigt. (Nicht selten stellen die Versicherer hier Behauptungen auf, die einer gerichtlichen Nachprüfung nicht standhalten; insgesamt existiert eine umfassende Einzelfallrechtsprechung zu der Thematik, ob und in welchem Umfang wahrheitswidrige Angaben tatsächlich zur Auflösung des Vertrages berechtigen.)
- Oft war am Vertragsschluss auch ein Makler beteiligt, der für den Versicherten die Gesundheitsfragen beantwortet hat. In solchen Fällen wiederum ist es oft schwer zu erinnern, wie genau Vorerkrankungen geschildert wurden und wer was gesagt hat. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil Fehlverhalten des Versicherungsmaklers (im Gegensatz zu dem eines Versicherungsvertreters) dem Versicherten angelastet wird, nicht dem Versicherer. Vor Gericht kann es also erhebliche Schwierigkeiten bei der Beweisführung geben.
In dieser – durchaus heiklen – Konstellation konnte ich kürzlich eine erfreuliche Leistungsentscheidung für Versicherte erwirken:
Der Sachverhalt:
Meine Mandantin beantragte wegen einer stressinduzierten Erkrankung Leistungen aus ihrer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung.
Der Versicherer holte die üblichen Auskünfte bei den behandelnden Ärzten ein und kam nach Prüfung der Sachlage zu dem Schluss, seinerzeit seien anzeigepflichtige Umstände nicht angegeben worden; man trete daher von dem Vertrag zurück.
Insbesondere habe die Leistungsprüfung ergeben, dass in den Behandlungsunterlagen des Hausarztes eine depressive Symptomatik seit dem Schulalter verzeichnet sei. Deshalb müsse man davon ausgehen, dass (a) ununterbrochen – zunehmende – Beschwerden bestanden, deren Krankheitswert (b) der Versicherten auch bewusst gewesen sei.
Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage kam ich zu dem Schluss, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsdurchsetzung gegen den Versicherer tatsächlich recht begrenzt waren:
Am Vertragsschluss war damals ein Makler beteiligt, dem meine Mandantin zwar sämtliche Beschwerden aufrichtig und glaubhaft schilderte, der allerdings die Gesundheitsfragen recht zurückhaltend beantwortete (und aus meiner Sicht wesentliche Informationen zurückhielt).
Da nach gefestigter Rechtsprechung ein etwaiges Fehlverhalten des Versicherungsmaklers eben dem nicht dem Versicherer (sondern dem Versicherten) zugerechnet wird, wäre eine Leistungsklage gegen den die Versicherung voraussichtlich abschlägig beschieden worden und dieses Risiko war mir zu hoch.
Wir entschlossen uns daher, im Leistungsverfahren gleichwohl zu „pokern“, dieses dann aber im außergerichtlichen Stadium zu belassen (und nicht nötige Kosten in einen Rechtsstreit mit recht begrenzter Erfolgsaussicht zu investieren).
Stattdessen wollten wir den Schaden in Gestalt der nunmehr „ausgefallenen“ Versicherungsleistungen gegenüber dem Makler gerichtlich geltend machen.
Ich verfasste daher ein außergerichtliches Aufforderungsschreiben an den Versicherer, in welchem ich wie folgt, argumentierte:
- Zum einen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten, dass psychische Beschwerden erst dann zu einem anzeigepflichtigen Umstand werden, wenn „zahlreiche therapeutische Gesprächsbehandlungen“ stattgefunden haben. Insoweit fehle es bereits an einem gefahrerheblichen Umstand, weshalb der Tatbestand einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung bereits objektiv nicht vorliege.
- Zum anderen war meine Mandantin die vom Hausarzt gestellte Diagnose „psychosomatische Beschwerden“ schlichtweg nicht bekannt und diesbezüglich wurden auch keine ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt.
In der Gesamtschau dürfe es daher für die Versicherung nicht ohne Weiteres gelingen, sich von dem Vertrag zu lösen, weil schon gar keine Pflichtverletzung, erst recht aber kein entsprechender Vorsatz vorläge.
Auch liege nach den objektiven medizinischen Befunden der Versicherungsfall vor (meine Mandantin war, ausweislich der fachärztlichen Bewertungen, auf Grund ihrer stressinduzierten Erkrankung aus medizinischer Sicht dauerhaft arbeitsunfähig), weshalb für den Versicherer in der Gesamtschau zumindest ein substanzielles Prozessrisiko bestehe.
(Hierbei habe ich zugegebenermaßen recht interessenorientiert argumentiert und die auf unser Seite bestehenden Risiken etwas verharmlost.)
Auf dieses Schreiben hat der Versicherer dann eine Einmalzahlung in Höhe von 24.000,00 € angeboten, die ich durch telefonische Nachverhandlung auf 30.000,00 € erhöhen konnte – eine angesichts der überschaubaren Versicherungsleistungen von lediglich 12.000,- pro Jahr doch erfreuliche Summe, die aus meiner Sicht die Prozessrisiken nicht ganz adäquat widerspiegelte:
Einen „echten“ Rechtsstreit hätten wir vermutlich verloren, da das Gericht die langjährig bestehenden – psychosomatischen – Beschwerden voraussichtlich als anzeigepflichtigen Umstand eingestuft und in der Folge die Klage wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung zurückgewiesen hätte.
Fazit:
Eine insgesamt recht erfreuliche Entscheidung, die eindrucksvoll belegt, dass es – gerade im Bereich der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, zu welchem eine umfassende , teils einander widersprechende Einzelfallrechtsprechung existiert, lohnen kann, auch einmal zu „pokern“.
Nun gilt es, den restlichen Schaden vom Makler zu erstreiten …