Die Herausforderung
Bei depressiven Erkrankungen werden Leistungen aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung oft mit folgender Argumentation abgelehnt:
- Zwar bestünden keinerlei Zweifel an der Grunderkrankung als solcher, weshalb die Diagnose (in der Regel eine sog. „F-Diagnose“ nach der ICD-10-Klassifikation) seinerzeit durchaus korrekt gestellt worden sei.
- Allerdings habe die medizinische Bewertung ergeben, dass aus der (korrekten) Diagnose keine tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen hinsichtlich der ausgeübten Berufstätigkeit resultieren; die berufliche Tätigkeit könne ohne bedingungsgemäße Beeinträchtigung (weiter) ausgeübt werden.
- Eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung in bedingungsgemäßem Ausmaß sei somit nicht nachgewiesen, weshalb auch keine Leistungen erbracht werden könnten.
(Hierbei kommt selten zur Sprache, dass diese Einschätzung
- von einem Gutachter stammt, den die Versicherung beauftragt und bezahlt hat,
- fast immer von der Ansicht sämtlicher anderer fachärztlicher Behandler abweicht, die den Versicherten oft langjährig betreuen und sehr viel besser kennen als der Versicherungsgutachter).
Der Fall
In dieser Konstellation konnte ich kürzlich erneut einen Erfolg für Versicherte erzielen:
Mein Mandant war als ausgebildeter Bürokaufmann in einer öffentlichen Behörde tätig und litt seit mehreren Jahren unter rezidivierenden Depressionen, die sich im zeitlichen Verlauf intensivierten.
Nachdem sich zusätzlich auch eine Angst-/Panikstörung entwickelte, entschloss sich mein Mandant, Leistungen bei seiner Berufsunfähigkeitsversicherung zu beantragen.
Diese gab ein Gutachten in Auftrag, welches zu dem Ergebnis kam, dass mein Mandant trotz der langjährigen depressiven Erkrankung über ein solches Funktionsniveau verfüge, dass er von einer Berufsunfähigkeit „weit entfernt“ sei.
Dabei spiele keine Rolle, dass die gesetzliche Rentenversicherung meinem Mandanten wegen seiner Erkrankungen bereits eine Erwerbsunfähigkeitsrente (!) bewilligt habe und das sämtliche fachärztliche Behandler meines Mandanten einstimmig zu dem Ergebnis kamen, dass er seine berufliche Tätigkeit – krankheitsbedingt – auf gar keinen Fall länger ausüben könne („Gegebenenfalls mag hier eine gewisse iatrogene Fixierung durch die Behandler des Probanden gegeben sein.“)
Das Verfahren
Nach entsprechender Leistungsablehnung der Versicherung unter Berufung auf das von ihr beauftragte Gutachten wandte sich der Versicherte an meine Kanzlei und bat um Überprüfung der Leistungsentscheidung.
Bei der Lektüre des Gutachtens fielen mir erhebliche Widersprüche in der von der Versicherung beauftragten Begutachtung auf, sodass ich hier gewisse Erfolgsaussichten sah.
Daraufhin beauftragte mich der Versicherte mit der Durchsetzung seiner Ansprüche auf Versicherungsleistungen.
In diesem Rahmen wies ich zunächst die Berufsunfähigkeitsversicherung meines Mandanten durch außergerichtliches Anschreibens darauf hin, dass die von ihr bezahlte medizinische Bewertung an derart gravierenden Widersprüchen leide, dass es einer gerichtlichen Nachprüfung ganz offenkundig nicht standhalten werde.
Gleichwohl blieb die Versicherung bei ihrer Leistungsablehnung, sodass ich wenige Wochen später Klage beim zuständigen Landgericht München I einreichte.
Kurz vor dem Termin zur ersten mündlichen Verhandlung erreichte mich dann eine Anfrage der die Versicherung vertretenden Rechtsanwaltskanzlei, ob man nicht bei Einmalzahlung in Höhe von 60.000,- € „zur gütlichen Einigung bereit wäre“.
Ich teilte mit, dass wir selbstverständlich zu einer unkomplizierten und umfassenden Erledigung der Angelegenheit bereit wären; allerdings müsse die Einmalzahlung in diesem Fall auch das Prozessrisiko angemessen widerspiegeln.
Dies wiederum sei bei einer Einmalzahlung in Höhe von 60.000,- € für mich nicht erkennbar; aus meiner Sicht wäre ein Betrag in Höhe von 180.000,- € angemessen.
Wir haben uns dann – nur wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung – auf eine Einmalzahlung in Höhe von 150.000,- € gegen Vertragsaufhebung geeinigt.
Das Ergebnis
Angesichts der Tatsache, dass die Versicherung zunächst überhaupt keine Zahlungen leisten wollte, erwies sich die Überweisung in Höhe von 150.000,- € als voller Erfolg.
Vermutlich hätte ich mich auch mit der ursprünglichen Forderung von 180.000,– EUR durchsetzen können, da der Vertrag immerhin noch eine substantielle Restlaufzeit hatte.
In diesem Zusammenhang sind allerdings immer zwei Aspekte zu berücksichtigen (und im Einzelfall stets sorgfältig abzuwägen):
1.
Zum einen verlaufen depressive Erkrankungen regelmäßig in Episoden, weshalb hier ein nicht unerhebliches „Reaktivierungsrisiko“ besteht:
Die Fähigkeit zur Ausübung des früheren Berufes kann in dem Maße wiedererlangt werden, in welchem sich medizinische Einschränkungen – durch Heilbehandlung und/oder Zeitablauf – zurückbilden.
Deshalb steht dem Versicherer auch das Recht zur sog. Nachprüfung zu, abhängig von den vereinbarten Bedingungen in der Regel einmal pro Kalenderjahr. Dies wiederum ist in der Praxis stets mit einigem Aufwand (und auch Risiko) verbunden, gerade für Erkrankte und – vor allem – dann, wenn von dem Versicherer eine erneute ärztliche Untersuchung gewünscht und beauftragt wird.
2.
Zum anderen darf nicht außer Betracht bleiben, dass auch bei der Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen gewisse Risiken bestehen:
Zwar finden sich dort keine Auftragsverhältnisse zur Versicherungswirtschaft, weil der Gutachter jeweils direkt vom Gericht vergütet wird und in aller Regel auch nicht auf (Folge-)Aufträge der Versicherungswirtschaft angewiesen ist.
Gleichwohl ist es denkbar – und kommt auch regelmäßig vor – dass selbst ein „neutraler“ Gutachter zu dem Ergebnis gelangt, dass trotz depressiver Grunderkrankung keine hinreichende Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Ausübung der versicherten Tätigkeit besteht:
Nicht selten beurteilen verschiedene Gutachter identische Einschränkungen unterschiedlich, weshalb – immer – auch ein gewisses „Begutachtungsrisiko“ besteht.
Unter Berücksichtigung dieser beiden Risiken erwies sich der Vergleich als in jeder Hinsicht angemessen.
Dies galt vor allem auch im Hinblick auf den Umstand, dass durch die Einigung der (anderenfalls voraussichtlich noch circa zwei Kalenderjahre andauernde) Rechtsstreit sofort und ohne weitere Belastung für meinen Mandanten abgeschlossen werden konnte:
Die Befreiung von den Belastung des Rechtsstreites erweist sich in der Praxis oft als substanzieller Mehrwert für die Mandantschaft, denn – wesensgemäß – ist die Streitbereitschaft in Phasen psychischer Leiden nur noch sehr bedingt vorhanden …