Im April 2022 konnte ich eine weitere wichtige Entscheidung im Bereich der Kostenerstattung für noch nicht leitlinienkonforme Therapien (in Gestalt eines sog. „off-label-use“) erstreiten:
Sachverhalt
Bei meinem gesetzlich versicherten Mandanten wurde im Mai 2021 ein hirneigener Tumor in Gestalt eines sog. Glioblastoms festgestellt (welches sich bereits im WHO-Stadium IV befand, der gefährlichsten Kategorie der international üblichen Einteilung von Tumorentitäten).
Unmittelbar nach Erstdiagnose erfolgten diverse operative Entfernungen nebst konventionellen (Radio-)Chemotherapien, die jedoch allesamt ein im April 2022 diagnostiziertes Rezidiv nicht verhindern konnte.
Da die – intensiv durchgeführten – leitliniengerechten Behandlungen das Voranschreiten der Erkrankung nicht aufhalten konnten und mein Mandant nach den einschlägigen Leitlinien nur noch palliativ zu therapieren war, rieten die behandelnden Ärzte der Universitätsmedizin und die einberufene Tumorkonferenz zu einer neodjuvanten Gabe des monoklonalen Antikörpers Pembrolizumab (Handelsname: Keytruda).
Keytruda ist ein sog. Checkpoint-Inhibitor, der bereits über eine Zulassung für diverse onkologische Indikationen verfügt und verglichen mit Patienten, die keine neoadjuvante Checkpoint-Inhibition erhielten, ließ die veröffentlichte Literatur im konkreten Fall meines Mandanten eine statistisch signifikante Zunahme des Gesamtüberlebens erwarten.
Kostenantrag bei der Krankenversicherung
Da es sich bei der neoadjuvanten Gabe von Pembrolizumab (noch) nicht um eine Kassenleistung handelte und mein Mandant auch nicht in der Lage war, die begehrte Behandlung aus eigenen Mitteln zu finanzieren, beantragte er bei seiner Gesetzlichen Krankenversicherung Kostenerstattung im Rahmen einer individuellen Einzelfallentscheidung.
Der Antrag wurde mit der üblichen MDK-Argumentation abgelehnt:
- Meinem Mandanten stünden ja noch als Kassenleistungen erstattungsfähige Behandlungsmethoden zur Verfügung, nämlich die (mehrfache) erneute systematische Gabe des Zytostatikums CCNU (Chlorethyl-Cyclohexyl-Nitroso-Urea bzw. Lomustin) sowie erneute Nachresektionen (!)Deshalb – also mangels Alternativlosigkeit – könne keine Kostenerstattung erfolgen.
Gerichtliches (Eil-)Verfahren
Da die Angelegenheit zeitkritisch war (ich wurde erst nach Leistungsablehnung mandatiert, erfuhr dann von dem behandelnden Oberarzt, dass eine präoperative Gabe beabsichtigt war und die Operation eines schnellwachsenden Hirntumors kann bekanntlich nicht beliebig aufgeschoben werden), beantragte ich beim zuständigen Sozialgericht unter Aufbereitung der wissenschaftlichen Datenlage und Darstellung der Besonderheiten des Einzelfalls eine vorläufige Regelung durch Eilverfahren:
Hierzu habe ich insbesondere auf folgende Aspekte verwiesen:
- Der Antragsteller hatte sich bereits fünf (!) Zyklen einer konventionellen, systematischen Chemotherapie sowie einet sechswöchigen Radio-Chemotherapie sowie vier (!) operativen (Nach-)Resektionen unterzogen und trotzdem konnte das Voranschreiten der – unmittelbar tödlichen – Erkrankung nicht aufgehalten werden.In einer solchen Konstellation zu argumentieren, dass dem Patienten ja noch kassenärztliche Behandlungsmethoden (nämlich die sechste, siebte oder achte Chemotherapie bzw. die fünfte, sechste oder siebte Operation) zur Verfügung stünden, ist schlichtweg menschenverachtend .
- Mein Mandant war mit seinen 53 Lebensjahren vergleichsweise jung und in einem körperlich sehr gutem Zustand. Das Rezidiv war klein, umschrieben und chirurgisch gut erneut zu resezieren, weshalb die neodjuvante Gabe im Einzelfall ein besonders gutes Ansprechen erwarten ließ.
In dieser Situation überwogen die Chancen eindeutig die Risiken, weshalb aus meiner Sicht nur eine einzige Entscheidung denkbar war …
… die dann auch getroffen wurde:
Ein toller Ausgang (und ein tolles Team …)
Dieser Fall ist ein schönes Beispiel für eine funktionierende Rechtspflege und eine tolle Zusammenarbeit von Mandanten, Ärzten und Anwälten:
- Auf Mandantenseite waren die fachärztlichen Befunde und die medizinischen Unterlagen sehr gut aufbereitet und konnten sofort übermittelt werden.
- Die behandelnde Universitätsklinik war für Rückfragen sofort erreichbar und reagierte selbst am Wochenende (!) unverzüglich auf meine Anfragen.
- Das zuständige Sozialgericht (in Gestalt einer dynamischen Richterin mit recht soliden Kenntnissen der durchaus anspruchsvollen medizinversicherungsrechtlichen Materie) hat sich weder vor der Arbeit noch vor der Verantwortung gescheut und den Fall ebenso zügig wie konsequent entschieden.
Dadurch war es möglich, dass ich den 26seitigen Eilantrag mit Darstellung von fachärztlichen Bewertungen, medizinischer Literatur und einschlägiger Rechtsprechung zu ähnlichen Fällen innerhalb eines Arbeitstages fertigen konnte (wegen der Dringlichkeit sogar an einem Sonntag).
Mein am Sonntagabend versendeter Antrag lag dem Gericht somit morgens am Montag, den 25. April 2022 vor und wurde nach einem kurzen Telefonat mit der zuständigen Richterin bereits am Mittwoch, den 27. April 2022 positiv beschieden.
Hinzu kam die erfreuliche Entwicklung, dass die Gesetzliche Krankenversicherung nach Lektüre meines Eilantrages und – vor allem – des gerichtlichen Beschlusses erklärte, die Entscheidung zu akzeptieren und meine Kosten zu übernehmen.
Insgesamt konnte die gesamte Angelegenheit in weniger als zwei Kalenderwochen rechtskräftig abgeschlossen werden (und dies sogar kostenneutral für meinen Mandanten).