Die erlaubnisfreie Herstellung und Anwendung patientenindividualisierter Arzneimittel ist insbesondere im Rahmen nuklearmedizinischer Anwendungen von großer Bedeutung für die Patientenversorgung. Nichtsdestotrotz besteht bzgl. der Interpretation der Rechtsvorschriften eine große Rechtsunsicherheit v. a. bei den Nutzern. Aber auch der behördliche Umgang mit diesen zeigt, dass man sich in der Bundesrepublik (noch) fernab bundeseinheitlicher Auslegungen dazu befindet. Dieser Artikel illustriert, diskutiert und kommentiert die wichtigsten Aspekte dieser Thematik unter Einbeziehung aktueller Quellen und Entwicklungen.
Autoren
Frank Breitkreutz1, Marianne Patt2, Christoph Solbach3
Institute
1 Rechts- und Fachanwaltskanzlei Dr. Breitkreutz, Rostock
2 Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig
3 Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Ulm, Ulm
Schlüsselwörter
Arzneimittelgesetz, AMG, § 13 Abs. 2b AMG, patientenindividualisierte Arzneimittel, Radiopharmaka, erlaubnisfreie Eigenherstellung von Arzneimitteln, ärztliche Selbstherstellung
Keywords
Medicines Act, AMG, § 13 Para. 2b AMG, Patient-tailored drugs, Radiopharmaceuticals, Permit-free in-house production of pharmaceuticals, Produced by the doctor
Bibliografie
DOI https://doi.org/10.1055/a-0671-5521 | Der Nuklearmediziner 2018; 41: 360–368
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0723-7065
Korrespondenzautor
RA Dr. jur. Frank Breitkreutz, Oll-Daniel-Weg 03, 18069 Rostock, Tel.: +49 381 808-340-88, Fax: +49 381 808-340-99, sekretariat@dr-breitkreutz.de
Zusammenfassung
Arzneimittelherstellungen sind aus guten Gründen erlaubnispflichtig:
Wegen des Gefährdungspotenzials von Pharmazeutika will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die an ihrer Herstellung beteiligten Personen über die notwendige fachliche und persönliche Zuverlässigkeit verfügen. Gleichzeitig soll zu Zwecken der Arzneimittelsicherheit eine möglichst lückenlose Überwachung erfolgen.
Von dem in §13 Abs.1 des Arzneimittelgesetzes (nachstehend: AMG) geregelten Grundsatz der Erlaubnispflicht von Arzneimittelherstellungen bestehen allerdings diverse Ausnahmen. Unter anderem dürfen Ärzte erlaubnisfrei Arzneimittel herstellen, sofern dies zum Zweck der persönlichen Anwendung bei bestimmten Patienten geschieht und die Herstellung unter der „unmittelbaren fachlichen Verantwortung“ des jeweiligen Heilberuflers erfolgt.
Für die Nuklearmedizin ist die Möglichkeit der erlaubnisfreien Eigenherstellung von großer Praxisrelevanz. Die zur Anwendung kommenden Radiopharmaka sind zu Zwecken eines optimalen Therapieerfolges häufig speziell auf die jeweils zu behandelnden Patienten „zugeschnitten“, womit sie sich in einem wesentlichen Punkt von „klassischen“ Arzneimitteln unterscheiden:
Diese, die sog. Fertigarzneimittel, werden „im Voraus“ hergestellt und sind damit wesensgemäß für einen zum Zeitpunkt der Herstellung noch unbekannten Anwender- bzw. Verbraucherkreis bestimmt. Ein konkreter Patientenbezug ist ihnen fremd, weshalb sich der Umgang mit individualisierten Arzneimitteln durch die für Fertigarzneimittel geltenden Vorschriften auch nur sehr bedingt erfassen lässt.
Gesetzgeberische Voraussetzung für den Einsatz von personalisierten Arzneimitteln ist ein gegenüber Standardarzneimitteln modifizierter regulatorischer Rahmen, der die Besonderheiten der Patientenindividualisierung berücksichtigt und hierbei v. a. die für die Personalisierung von Arzneimitteln notwendige Flexibilität im Bereich der Herstellung gewährleistet.
Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat der praktischen Bedeutung von Individualrezepturen durch verschiedene Ausnahmevorschriften Rechnung getragen, die bestimmten Personen- kreisen Herstellung und Verwendung von individualisierten Arzneimitteln ermöglichen, ohne insoweit den (strengen) Anforderungen an eine industrielle (Fertig-)Arzneimittelherstellung genügen zu müssen.
Von Praxisrelevanz sind in erster Linie die Regelungen in § 13 Abs. 2 und Abs. 2b AMG, die Apothekern (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 AMG) und Ärzten (§ 13 Abs. 2b S. 1 AMG) unter bestimmten Voraussetzungen die Herstellung von Arzneimitteln auch ohne die hierfür grundsätzlich erforderliche behördliche Erlaubnis ge- statten. Apothekern ist durch die Vorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG überdies die zulassungsbefreite Abgabe von Arzneimitteln möglich.
Dieser Beitrag widmet sich der erlaubnisfreien Eigenherstellung durch Heilberufler (unter besonderer Berücksichtigung von Radiopharmaka), einer insgesamt noch recht jungen Regelungsmaterie: Die für den Humanbereich maßgebliche Vorschrift des § 13 Abs. 2b AMG wurde erst im Zuge der 15. AMG- Novelle im Kalenderjahr 2009 Gesetzeswirklichkeit.
Deshalb existiert bislang zu diesem Bereich kaum belastbare Rechtsprechung, was wiederum eine nicht immer einheitliche Verwaltungspraxis der Aufsichtsbehörden nach sich zieht.
Der Exotencharakter von individualisierten Arzneimitteln einerseits und ihre (mehr und mehr, v. a. im Bereich der Nuklearmedizin) zunehmende praktische Bedeutung andererseits geben Anlass, Möglichkeiten und Grenzen der erlaubnisfreien Eigenherstellung von Radiopharmaka zu skizzieren. Insbesondere soll aufgezeigt werden, wo der Bereich der erlaubnisfreien Herstellung endet und die − immerhin strafbewehrte und approbationsrelevante (!) − unerlaubte Vorratsherstellung beginnt.
In diesem Rahmen sollen zunächst die praktische Bedeutung der Eigenherstellungen in der Nuklearmedizin (I) und die arzneimittelrechtlichen Vorgaben einschließlich einer Erläuterung der grundsätzlichen Rechtssystematik der einschlägigen Regelungen dargestellt werden (II). Ein Überblick über die rechtlichen Voraussetzungen erlaubnisfreier Eigenherstellungen (III) und eine Zusammenfassung nebst Ausblick (IV) beenden diesen Beitrag.
I. Die praktische Bedeutung von Radiopharmaka und Eigenherstellungen in der Nuklearmedizin
II. Das Arzneimittelrecht als maßgeblicher regulatorischer Rahmen und die grundsätzliche rechtliche Systematik der arzneimittelrechtlichen Vorgaben
III. Die rechtlichen Voraussetzungen einer erlaubnisfreien Eigenherstellung
1. Die persönlichen Voraussetzungen: Ärzte und andere Heilberufler als privilegierter Personenkreis
2. Herstellungsbezogene Voraussetzung: unmittelbare fachliche Verantwortung des Anwenders
3. Sachliche Voraussetzungen: Persönliche Anwendung bei individualisierten Patienten als Herstellungszweck
4. Exkurs I − Räumliche Anforderungen
5. Exkurs II − Anzeigepflicht gem. § 67 Abs. 2 AMG und Überwachung
6. Exkurs III – Konsequenzen der 15. AMG-Novelle für die Anwendung von Kit-Radiopharmaka
IV. Zusammenfassung und Ausblick