Einige meiner Mandate beschränken sich darauf, in völlig einfachen gelagerten Sachverhalten die exakte Höhe von vertraglich vereinbarten Versicherungsleistungen zu berechnen und kontrollieren sowie Zahlungsfristen zu überwachen.
(Dies ist regelmäßig bei höheren und/oder existenziellen Einmalzahlungen der Fall, teilweise auch, wenn der Versicherungsfall für die betroffene Familie mit derart gravierenden Umstellungen verbunden ist, dass man die im Rahmen der Schadensbearbeitung anfallende Korrespondenz versachlichen oder einfach nur auf Dritte delegieren möchte).
Aus anwaltlicher Sicht sind solche Fälle wenig anspruchsvoll, beschränken sie sich doch mehr oder weniger auf das „Händchenhalten“.
Manchmal können sich hieraus jedoch rechtlich interessante, teilweise sogar auch spannende Konstellationen entwickeln, wie zum Beispiel in dieser Sache:
Schwerer und eindeutiger Unfall
Mein Mandant erlitt als Fußgänger einen Unfall, der (leider) so schwer war, dass nicht einmal der zahlungsunwilligste Versicherer auch nur im Ansatz hätte ernsthaft bestreiten können, dass sogenannte Vollinvalidität bestand.
Der zuvor kerngesunde Verletzte hatte derart gravierende neurologische Verletzungen, dass einige Wochen sogar unklar war, ob er diesen Unfall überleben werde; anschließend war – und blieb – er Intensivpatient, der sich an guten Tagen maximal mit Augenblinzeln verständigen konnte.
Da der Versicherungsfall (= Unfallereignis + unfallbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung) durch polizeiliche Dokumentation und eine Vielzahl universitärer Krankenhausberichte in jeder Hinsicht „gerichtsfest“ dokumentiert war, bestanden im Grunde keinerlei Schwierigkeiten:
Innerhalb der jeweils vertraglich festgeschriebenen Fristen war das Unfallereignis anzuzeigen und sodann waren die vereinbarten Sofortleistungen zu koordinieren sowie die bestehenden (Ausschluss-)Fristen zu überwachen.
Für meinen Mandanten bestanden bei zwei Versicherern entsprechende Verträge, die neben dem üblichen Sofortleistungen eine Invaliditätssumme vorsahen, die sich durch die jeweils vereinbarte Progression auf insgesamt knapp 900.000,00 € belief.
Ich habe also die Schadensanzeigen vorgenommen, die Fristen notiert und die sich im Verlauf der Heilbehandlung ergebenden Befunde (jeweils mit einer kleinen rechtlichen Bewertung) an die Versicherer weiter geleitet.
Volle Auszahlung im ersten Kalenderjahr nach Unfallereignis?
Damit wäre meine Arbeit erledigt gewesen, hätte sich nicht folgende Problematik entwickelt:
Bei sehr schweren Verletzung kann es sein, dass die unfallbedingten Mehrausgaben (zum Beispiel durch Pflegekräfte, Anschaffungen und/oder Umbaumaßnahmen) sehr schnell eine Größenordnung erreichen, die durch „normale“ Rücklagen nicht mehr ohne weiteres bewerkstelligt werden können.
Das wäre im Grunde kein großes Problem, weil die vertraglichen Leistungen ja genau für diesen Zweck vorgesehen sind, abhängig von dem zeitlichen Verlauf kann es aber durchaus zu finanziellen Engpässen kommen.
Die Bedingungen der meisten Privaten Unfallversicherer sehen nämlich eine Klausel vor, nach welcher die Invaliditätsleistung innerhalb des ersten Kalenderjahres nach Unfallereignis ausschließlich bis zur Höhe der vereinbarten Todesfallleistung beansprucht werden kann; erst nach Ablauf dieses ersten Jahres wird der restliche Betrag „fällig“ im Rechtssinne.
Bei schweren Verletzungen einerseits und vergleichsweise schnellem Abschluss der Heilbehandlung andererseits, kann dies – wie hier – zum Problem werden:
Mein Mandant wurde von der Intensivstation vergleichsweise zügig in die Intensivpflege entlassen, von wo ihn seine Ehefrau schnellstmöglich wieder zurück in die vertraute Umgebung haben wollte
Hierfür waren allerdings kostspielige Umbaumaßnahmen und Anschaffungen notwendig, die über die vorhandenen Rücklagen hinausgingen.
Klage oder Abwarten?
Insoweit standen wir nun vor dem Problem, entweder den Ablauf der Jahresfrist abzuwarten (mit der Folge, dass der Verletzte noch ungefähr ein halbes Kalenderjahr in vergleichsweise unwirtlicher Umgebung zugebracht hätte oder den Zahlungsanspruch gerichtlich durchzusetzen, was allerdings angesichts der üblichen Verfahrensdauer im Ergebnis voraussichtlich eine sehr viel längere Verzögerung der Auszahlung bedeutet hätte.
Diese auf den ersten Blick recht profane Entscheidung entwickelte sich dann noch zu einer wirklich schwierigen Aufgabe für mich:
Nach gefestigter Rechtsprechung besteht nämlich eine „Rückausnahme“ (eine Fälligkeit der die Todessumme übersteigenden Invaliditätsleistung auch vor Abschluss des Heilverfahrens bzw. vor Ablauf des ersten Kalenderjahres nach Unfall), wenn
- die Invalidität (in einer gewissen Schwankungsbreite) feststeht und
- ein unfallbedingtes Ableben des Versicherten „unwahrscheinlich“ ist.
Damit hatte ich zwei Optionen:
- Die von mir bevorzugte Lösung war, unter Hinweis auf eben diese Rechtsprechung eine Klageschrift beim zuständigen Landgericht einzureichen, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass wir in diesem Rechtsstreit – voll – obsiegen. Nachteilig an dieser Strategie war natürlich, dass sich bei Klageeinreichung durch den gesetzlichen vorgeschriebenen Anwaltszwang und die hierdurch bedingte Abgabe der Sache von Schadensabteilung zu Anwaltskanzlei erfahrungsgemäß die Fronten deutlich verhärten und eine Auszahlung vor rechtskräftiger Beendigung der Sache nur in den seltensten Fällen erfolgt. Dies wären hier ungefähr 6-8 Monate gewesen – ein Zeitraum, der über der noch verbleibenden Restzeit des ersten Kalenderjahres lag.
- Die (jedenfalls für mich) ausgesprochen unangenehme Alternative war, mein Ego zu schlucken und auf einen – spannenden, wichtigen und anspruchsvollen – Rechtsstreit zu verzichten, dafür aber für meine Mandanten eine (vermutlich deutlich) frühere Auszahlung der Summe zu erreichen.
Manchmal ist es besser, abzuwarten …
Mir ist diese Entscheidung wirklich schwer gefallen, zumal ich hier ein schönes Zeichen für Versicherte hätte setzen können, im Ergebnis hat jedoch die Vernunft gesiegt:
Trotz des recht attraktiven Honorars im Fall einer Klage – Verpflichtet fühle ich mich ausschließlich dem Mandanteninteresse und dies war hier allein, eine frühestmögliche Zahlung zu erreichen (und eben nicht, Rechtsfortbildung zu Gunsten der Versicherungsnehmer in der Privaten Unfallversicherung zu betreiben).
Da ich mich überdies mit einem der beiden Unfallversicherer über eine vergleichsweise hohe Abschlagszahlung bereits im ersten Jahr nach Unfallereignis einigen konnte, was die Liquiditätslage etwas entspannte, war die Entscheidung im Ergebnis klar (und auch richtig):
Ziemlich genau zum „Jahrestag“ wurden dann die insgesamt 892.000,- € überwiesen …