Irren ist menschlich, sagt man. Gleichwohl wird bei Irrtümern des Behandlers oft unbesehen davon ausgegangen, dass ein zum Schadensersatz verpflichtender Behandlungsfehler vorliegt. Dies ist insofern nachvollziehbar, als Irrtümer im ärztlichen Bereich naturgemäß folgenschwerer sind als in weniger exponierten Gebieten. Andererseits führt die Angst vor haftungsrechtlichen Folgen bei Irrtümern zur Überdiagnostik und Defensivmedizin, was wiederum erhöhte Kosten im Gesundheitswesen und unnötig hohe Risikoprämien für Haftpflichtversicherungen zur Folge hat.
Angesichts der hier bestehenden Unsicherheiten will dieser Beitrag für das praxisrelevante Thema der Abgrenzung von nicht vermeidbaren, vertretbaren Irrtümern einerseits und den nicht mehr vertretbaren, haftungsbegründen Irrtümern andererseits sensibilisieren. Dargestellt werden zunächst der einfache, nicht haftungsrelevante Diagnoseirrtum (I) und der zum Schadensersatz verpflichtende Diagnosefehler (II). Es folgt die ebenfalls sehr praxisrelevante Abgrenzung zum so genannten Befunderhebungsfehler (III).
Einführung und Überblick
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I. Diagnoseirrtum
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II. Diagnosefehler und relevanter Zeitpunkt
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III. Befunderhebungsfehler
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Zusammenfassung
Erweist sich eine gestellte Diagnose nachträglich als falsch, wird oft unbesehen von einem Behandlungsfehler ausgegangen. Dies ist nicht immer zutreffend, denn die objektive Fehlerhaftigkeit einer Diagnose allein ist nicht vorwerfbar, solange es sich um eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde handelt.
Demgegenüber liegt ein Diagnosefehler vor, wenn die diagnostische Bewertung für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheint. Beruht die fehlerhafte Diagnose hingegen darauf, dass der Behandler eindeutig gebotene Befunde nicht erhoben hat, liegt ein so genannter Befunderhebungsfehler vor, der oftmals zu einer Umkehr der Beweislast führt. Maßstab für die Einstufung eines Diagnoseirrtums als Behandlungsfehlers ist der gewissenhafte Be- handler bei der Beurteilung der konkreten Situation.
Ein reiner Irrtum ist daher nur selten ein Behandlungsfehler. Irren ist menschlich.