Die Herausforderung
Stressbedingte und depressive Erkrankungen entstehen selten von heute auf morgen.
Anders als bei einem Unfall gibt es keinen klaren Zeitpunkt, in welchem Berufsunfähigkeit eintritt.
Vielmehr verläuft der Prozess schleichend – über wiederkehrende Phasen von Erschöpfung und Kranksein, bis hin zur vollständigen Arbeitsunfähigkeit, deren Dauer oft nicht absehbar ist.
In dieser Situation ist es ganz natürlich, trotz erheblicher Erschöpfung weiterzumachen und sich der Hoffnung hinzugeben, dass die belastende Phase von selbst wieder abklingt.
Eine sofortige psychologische oder psychiatrische Behandlung nehmen Betroffene deshalb in der Regel nicht in Anspruch. Das liegt nicht zuletzt daran, dass fehlende Krankheitseinsicht selbst ein typisches Symptom solcher Erkrankungen ist.
Also heißt es oft: Zähne zusammenbeißen und durchhalten.
Wenn dann schließlich die Einsicht kommt, dass man ohne professionelle Hilfe nicht mehr weiterkommt, stoßen Betroffene auf ein weiteres Problem:
Versicherer lehnen BU-Leistungen nicht selten mit dem Argument ab, dass ohne laufende Therapie die Einschränkung wohl kaum gravierend genug sein könne (wobei geflissentlich übersehen wird, dass die meisten Menschen auf ihr Einkommen angewiesen sind – und dass geeignete Therapieplätze bekanntermaßen rar sind).
Der Fall
In einer solchen Konstellation konnte ich kürzlich ein weiteres Verfahren erfolgreich abschließen:
Meine Mandantin, Angestellte im Sportbereich, entwickelte in Folge massiven Leistungsdrucks eine stressinduzierte Depression, ausgelöst vor allem durch die ausgesprochenen anspruchsvollen Phasen des Saisonbetriebes.
Ihr BU-Antrag von Ende September 2024 wurde nur 17 Tage später (das habe ich persönlich noch nie erlebt) mit der banalen Aussage abgelehnt, es könne nicht beurteilt werden, ob eine voraussichtlich dauernde Berufsunfähigkeit vorläge (dies wohlgemerkt trotz mehr als sechsmonatiger Krankschreibung, ärztlichen Nachweisen einer rettungsdienstlichen Aufnahme sowie mehrerer tagesklinischer Behandlungen).
Das Verfahren
Nach Mandatierung wies ich den Versicherer unverzüglich auf die Rechtslage hin:
Maßgeblich für die Bewertung ist die Prognose, wie sie sich aus den objektiven ärztlichen Befunden ergibt.
Diese wiederum zeigten eindeutig:
Eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit über acht aufeinanderfolgende Monate, die bereits genehmigte tiefenpsychologische Psychotherapie durch die Krankenversicherung sowie zusätzlich – wenn auch nur vereinzelt – in Eigenleistung finanzierte Verhaltenstherapie-Termine ließen eine Rückkehr ins Erwerbsleben auf absehbare Zeit ausschließen.
Dies galt umso mehr angesichts der besonderen Belastungen im stressintensiven Saisonbetrieb.
Die BU-Versicherung blieb bei ihrer Ablehnung, nahm allerdings nach Übersendung der fertiggestellten Klageschrift telefonischen Kontakt mit meiner Kanzlei auf, um eine außergerichtliche Lösung zu suchen.
(Ich persönlich bevorzuge außergerichtliche Einigungen – und das aus guten Gründen. Zum einen lassen sich damit die oft sehr langen Verfahrenszeiten eines Rechtsstreits vermeiden. Zum anderen reduziert sich das Begutachtungsrisiko: Gerade bei beginnenden oder sich erst abzeichnenden psychischen Erkrankungen kommt es immer wieder vor, dass auch ein gerichtlich bestellter Sachverständiger keine objektivierbaren Einschränkungen feststellt. In solchen Fällen gilt die Berufsunfähigkeit rechtlich als nicht nachgewiesen – mit der Folge, dass der gesamte Prozess verloren wäre, da die Beweislast grundsätzlich beim Versicherten liegt.)
Nach mehreren Verhandlungsrunden konnten wir schließlich eine Einigung erzielen:
Der Versicherer zahlte eine Abfindung in Höhe von 50 % des Barwertes – also sämtlicher Ansprüche bis Vertragsende. Damit erhielt meine Mandantin knapp 150.000 €.
Fazit
Eine sichere Einmalzahlung von 50 % des Vertragsbarwerts ist (jedenfalls bei beginnenden) stressbedingten Erkrankungen ein hervorragendes Ergebnis:
- Der Versicherte erhält sofort den Betrag, den er realistischerweise auch bei einem vollständigen Prozesserfolg erwarten könnte – zumal eine Berufsunfähigkeit bei abklingender Erkrankung regelmäßig entfällt und der Versicherer sich im Nachprüfungsverfahren von seiner Leistungspflicht lösen kann.
- Gleichzeitig vermeidet man das kaum kalkulierbare Begutachtungsrisiko und erspart sich die enorme Belastung sowie die mehrjährige Dauer eines Gerichtsverfahrens.