Für Patienten mit chronischer Borreliose konnte ich im April 2022 eine weitere wichtige Entscheidung erreichen (die hoffentlich Vorbildfunktion auch für andere Versicherungen hat).
Die Problematik
Versicherungsfälle in Gestalt wiederkehrender Zahlungen werden aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung regelmäßig etwas genauer geprüft, und zwar nicht immer zum Vorteil der Versicherten.
Für die private Krankentagegeldversicherung, die Lohnersatzleistungen für den Fall einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit verspricht, hat sich in den Leistungsabteilungen der Versicherer folgende Argumentation etabliert:
- Zunächst habe die Prüfung ergeben, dass sich die krankheitsbedingte Einschränkungen der konkreten beruflichen Tätigkeit in Grenzen hielten, weshalb bereits erhebliche Zweifel an einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit bestünden (die Voraussetzung eines KTG-Anspruchs ist).
- Wenn aber (überhaupt) eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung anerkannt werden könne, dann sei diese natürlich so gravierend, dass dauerhafte Arbeitsunfähigkeit bestehe. Damit wiederum liege „Berufsunfähigkeit“ im Sinne der vereinbarten Bedingungen vor, was ebenfalls zur Leistungsfreiheit führe.
Zwar bearbeite ich als Rechtsanwalt typischerweise nur Sachverhalte mit Streitpotential (und habe in Sachverhalte mit zufriedenen Versicherten nur bedingt Einblick), weshalb ich vermutlich nur über eine stark verzerrte Wahrnehmung verfüge. Mir allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass private KTG-Versicherer ausschließlich in den Dichotomien „keine vollständige Arbeitsunfähigkeit“ und „Berufsunfähigkeit“ denken:
Eine reversible vollständige Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Leistungsanspruchs scheint für die Versicherungen und die von ihnen beauftragten Gutachter nicht zu existieren.
Diese Argumentation fällt naturgemäß bei (noch) nicht allgemein anerkannten Krankheitsbildern wie der chronischen Borreliose, umweltmedizinischen Indikationen und/oder Multisystemerkrankungen sehr viel leichter.
Sachverhalt
Eine solche Bagetellisierung der Erkrankung einerseits bei gleichzeitigem Rückzug auf angeblich vorliegende Berufsunfähigkeit andererseits konnte ich kürzlich wieder beobachten (und glücklicherweise zur Zufriedenheit meines Mandanten klären):
Mein privat kranken(tagegeld-)versicherter Mandant litt an einer (chronifizierten) Borreliose mit klassischer Symptomatik, vor allem in Gestalt einer deutlich reduzierten Belastbarkeit und einer schnellen Erschöpfung (neben Nacken-, Rücken- und Gelenkschmerzen).
Mit der herkömmlichen (antibiotischen) Medikation gelang es nicht, die Beschwerden einzudämmen, weshalb an eine konzentrierte, fokussierte Arbeit – unabdingbare Voraussetzungen für den von ihm ausgeübten Beruf als Geschäftsführer einer Personal-und Medienagentur – nicht zu denken war.
Da krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bestand, erbat mein Mandant bei seinem privaten Krankentagegeldversicherer die vereinbarten Leistungen.
Erst Leistung – dann Ablehnung …
Der KTG-Versicherer erbrachte zwar zunächst bedingungsgemäße Leistungen, stellte allerdings nach einiger Zeit die Zahlungen mit folgender Begründung ein:
- Zum einen bestünden erhebliche Zweifel an der Diagnose, da die durchgeführte (LTT-)Diagnostik nicht hinreichend validiert sei.
- Zum anderen könne auch eine Borreliose „ihrem Wesen nach eine vollständige Arbeitsunfähigkeit nicht begründen“, weil nämlich – so lernte ich dazu – „nach den Leitlinien für eine Borreliose-Therapie durch die Einnahme von Antibiotika nach 14 Tagen keine Beschwerden mehr vorliegen können“.
Aufbereitung der Rechtslage
Im Rahmen meiner nach Zahlungseinstellung erfolgten Mandatierung habe ich die Versicherung auf die Rechtslage hingewiesen:
- Bei der Ursache der Leistungsbeeinträchtigung meines Mandanten (der reduzierten Belastbarkeit und Erschöpfung sowie einschlägigen (Gelenk-)Schmerzen) handelte es sich zwar tatsächlich um unspezifische Beschwerden, gleichzeitig allerdings auch um typische und häufige Borreliose-Symptome und somit um eindeutig krankheitsspezifische Zeichen.
- Unabhängig davon, dass auch sämtliche der marktüblichen Antikörpertests nicht standardisiert sind, ist die Validität des LTT mittlerweile recht gut belegt, wie sich aus einer Vielzahl von durchaus hochrangigen Publikationen ergibt.
In der Gesamtschau dürfte somit im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens der Nachweis des sog. Versicherungsfalls gelingen.
Allerdings war meinem Mandanten nicht an einem langwierigen Rechtsstreit gelegen, weshalb ich eine unkomplizierte außergerichtliche Einigung anregte.
Diese bot sich hier aus meiner Sicht auch deshalb an, weil zum einen der noch ausstehende (knapp fünfstellige) Leistungsbetrag recht überschaubar war und – vor allem – mein Mandant sich zum anderen aufgrund der guten ärztlichen Behandlung auf dem Weg der Besserung befand und eine Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit unmittelbar bevorstand.
Happy End
Die Versicherung gab dann noch ein Gutachten nach Aktenlage in Auftrag, in dessen Rahmen der beauftragte Gutachter auf wundersame Weise zu dem Ergebnis kam, dass mein Mandant – der wohlgemerkt bereits wieder arbeitete (!) – „unter Berücksichtigung der ungünstigen Prognosekriterien“ „aktuell als berufsunfähig einzuschätzen“ sei, weshalb für die Versicherung Leistungsfreiheit bestehe.
Im Ergebnis kam die HanseMerkur dann aber meiner Anregung nach, erkannte mit Schreiben vom 26. April 2022 ihre Leistungspflicht an und zahlte das noch ausstehende Krankentagegeld in Höhe von knapp 10.000,— EUR an meinen Mandanten aus – ein schönes Ergebnis, das ich mir öfter wünsche …